Tausende verbringen jedes Jahr ihren Urlaub auf den ostägäischen Inseln. Neben Kreta oder Rhodos, sind gerade auch Kos und seine Nachbarinseln ein beliebtes Ziel der Deutschen. All-Inclusive-Ressorts, soweit das Auge reicht. Sandstrand, Cocktails, laute Musik. Auf dem Flughafen prangt das Fraport-Logo. Dort landen und starten in den Sommermonaten beinahe 600.000 Menschen, verteilt auf beinahe 4.000 Flüge – jeweils pro Monat.
Kos
Verlässt man die Ressorts und die und fährt 15 Kilometer ins Landesinnere findet man sich im buchstäblichen Nirgendwo. Die Insel sieht dort nicht nach All-Inclusive-Ressorts aus, im Sommer liegen Olivenhaine und Wiesen von der Sonne verbrannt da.
Doch dort, im Nirgendwo, befindet sich auch ein riesiges Konstrukt, das die griechische Regierung und die Europäische Union begeistert „Closed Controlled Access Center“ nennen. Der Name steht für die ganze Absurdität des Konstrukts. Kos ist nicht einmal fünf Kilometer von der Türkei entfernt. Die Regierung ist stolz auf die Lager, rühmt sich in Youtube-Videos. Hunderte Millionen von Euros, um Menschen gefangen zu nehmen. Noch immer, gerade im Winter, kommen hunderte, manchmal tausende Menschen pro Monat an, die vor Krieg und Verfolgung fliehen und in Europa um Schutz nachsuchen. Sie kommen aus Syrien, aus Afghanistan, aus Somalia oder dem Iran.
Sie alle erwartet das gleiche Schicksal. Sollten sie nicht Opfer eines – oft brutalen, immer illegalen – Pushbacks geworden sein, die in Griechenland massenhaft stattfinden, dann landen sie im Closed Controlled Access Center – dürfen dieses in aller Regel nicht verlassen. In das Center integriert ist auch eine Abschiebehaftanstalt. Was der Unterschied zwischen Camp und Gefängnis ist, wissen häufig nur die griechischen Behörden – denn, wenn jemand eingesperrt ist, dann kommt es nicht darauf an, ob ein Staat dies „Gefängnis“, „Camp“ oder „All-Inclusive-Ressort“ nennt. Haft bleibt Haft.
Leros
In jüngster Zeit steigen die Ankunftszahlen und es werden wieder vermehrt Minderjährige inhaftiert. Minderjährige, die davor von FRONTEX und den griechischen Behörden als volljährig registriert worden, obwohl sie teilweise nicht einmal 15 sind. Die Gefahr, dass dies geschieht, ist besonders hoch, wo Nichtregierungsorganisationen und Rechtsbeistand fehlen. Auf Leros – von Kos knapp eine Stunde mit dem Boot entfernt – befindet sich ebenfalls ein Closed Controlled Access Center (zum Youtube Video hier entlang). Das Camp liegt am Ende einer eigens errichteten Straße, auf einer Landzunge, sonst nur umgeben von Wasser, der Sonne schutzlos ausgeliefert. Der einzige Zugang ist die Straße, auf der man kilometerweit laufen muss, um auf Zivilisation zu treffen. Leros hat eine Geschichte, die fortgeschrieben wird – als Gefängnis- und Exilant:inneninsel, als Insel der „Ausgestoßenen und Verrückten“. Zwar gibt es das hochmoderne Lager – aber kein:e einzige:r Anwält:in. Täglich erreichen uns Hilferufe. Wir besuchen die Insel in unregelmäßigen Abständen.
Haft
Haft betrifft also Tausende. Tausende, die auf Grundlage des EU Türkei Deals in die Türkei abgeschoben werden sollen. Doch dies wird nie passieren, denn die Türkei nimmt seit zwei Jahren keine einzige Person zurück. Griechenland und die Türkei pflegen seit Jahren einen Konflikt der von gegenseitigen Anschuldigungen und Gebietsansprüchen geprägt ist. Für Geflüchtete, so möchte es die EU, soll die Kommunikation aber funktionieren. Nur tut sie es nicht und wird es nicht tun. Und dennoch sind Menschen zwischen Welten gefangen, können nicht vor, nicht zurück, werden zwischen staatlichen Interessen zerrieben.
Europäische Migrationspolitik
Die Situation in Griechenland ist aus dem Fokus geraten, Medien haben das Interesse verloren. Moria und andere Lager gibt es nicht mehr; nach dem Brand sind sie – wie auf Kos und Leros – modernen Internierungslagern gewichen. Doch sie steht stellvertretend für Europäische Migrationspolitik. Die fehlende Aufmerksamkeit ist der Europäischen Union recht. Das Gemeinsame Europäische Asylsystem droht zu einem Gemeinsamen Europäischen Inhaftierungssystem zu verkommen, mit Tausenden von Menschen, die in Lagern an der Außengrenze festgehalten werden, die nicht weiterreisen können, die nicht zurückkehren können, die sich in einem rechtlichen und faktischen Niemandsland befinden. Mit dem „New Pact on Migration and Asylum“ will die EU das System „reformieren“. Und Haft normalisieren. Wissenschaftler:innen und Menschenrechtsorganisationen beobachten einen „shift to detention“
Was tun?
Was auf Leros und Kos an der Tagesordnung ist hat System – und ist die Zukunft des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems: Menschen werden in Europa gefangen genommen.
Dies ist entweder in Vergessenheit geraten oder war nie bekannt. Doch das sollte es. Wir möchten darauf aufmerksam machen und Betroffene zu Wort kommen lassen. In den nächsten Tagen und Wochen werden wir die Schicksale einiger vorstellen und unsere Kolleg:innen werden über ihre Arbeit sprechen; auch darüber, was es für sie bedeutet, jeden Tag für Menschen zu kämpfen, die in der Aussichtslosigkeit buchstäblich gefangen sind.
Dafür haben wir eine Website eingerichtet: www.gefangen.eu. Die Kampagne richtet sich vornehmlich an unsere Unterstützer:innen aus Deutschland und ist deshalb auf Deutsch.
Wir würden uns unglaublich freuen, wenn ihr euch für das Schicksal der vergessenen Gefangenen interessiert. Und unsere unermüdliche Arbeit für sie unterstützt.